Spannungsfeld B

Aus Macht und Herrschaft
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Personalität und Transpersonalität

Im Rahmen der gemeinsamen Arbeit der in diesem Arbeitsbereich versammelten Teilprojekte stand die Frage, ob die Personalität von Herrschaftsstrukturen tatsächlich als typisches Merkmal vormoderner Ordnungen gelten kann.[1] Im Zuge der anthropologischen Wende wurde dieses Problem intensiv diskutiert. Walter Demel definierte die Organisationsform ‚Reich‘ „[…] als ein politisches Gebilde, das weniger durch einen bürokratischen Apparat als vielmehr durch Tributbeziehungen zwischen den verschiedenen Reichsteilen beziehungsweise durch Loyalitätsbeziehungen zwischen Königtum und Reichselite(n) zusammengehalten wurde“[2]. Damit bemühte er sich um einen transkulturellen Zugang zu diesem Aspekt von Macht und Herrschaft, blieb aber weitgehend einem europazentrierten Zugang verhaftet und übernahm zugleich die Vorstellung von der fundamentalen Alterität der Vormoderne, in der es keine Trennung von ‚öffentlich‘ und ‚privat‘, von ‚amtlich‘ und ‚persönlich‘ gegeben habe.[3] Hier bemüht sich der SFB 1167 um eine differenziertere Betrachtungsweise und geht der Frage nach den Übergängen im Verhältnis von personalen und transpersonalen Elementen vormoderner Macht und Herrschaft nach.

Dabei untersuchten die im Spannungsfeld B versammelten Teilprojekte in der ersten Förderphase die Aspekte ‚Präsenz‘ und ‚Abwesenheit‘, ‚Regentschaft‘ und ‚Stellvertretung‘ sowie institutionelle und persönliche Bindung. Eine Reihe von Teilprojekten befasste sich mit dem obersten Herrschaftsträger als Person wie als Institution (TP 02 Becher/Dohmen, TP 07 Dahlmann, TP 14 Orthmann, TP 19 Taranczewski/Schley). Besondere Bedeutung kam dabei den Formen der Stellvertretung (TP 02 Becher/Dohmen, TP 19 Taranczewski/Schley) und den Deutungsmustern in Thronfolgesituationen zu (TP 02 Becher/Dohmen, TP 07 Dahlmann, TP 14 Orthmann). Komplementär dazu wurden auch Stereotypen und Idealisierungen analysiert (TP 01 Albert, TP 05 Brüggen, TP 08 Dumitrescu, TP 10 Kellermann, TP 11 Klaus, TP 13 Morenz).

Die Arbeit im Spannungsfeld machte deutlich, dass Herrschaft als die Folge von Interaktionen von Personen und Personengruppen anzusehen ist. In den Quellen findet sich in aller Regel eine gedachte hierarchische Ordnung, in der der Herrscher die oberste Entscheidungsinstanz darstellt. Dabei wird er von einem mehr oder weniger großen Kreis von teils namentlich genannten, teils anonym in Gruppen auftretenden Personen unterstützt, während die große Mehrheit der Bevölkerung (die ‚Untertanen‘) scheinbar als Objekte erscheinen; gerade deren Handlungsmacht scheint in der Überlieferung nur selten auf. Der gedachten Ordnung entsprechen auf der praktischen Ebene transpersonale Strukturen, die sich mit Hilfe der Quellen oft nur ansatzweise rekonstruieren lassen. Da diese Strukturen von wechselnden Personen mit Leben gefüllt werden, treten personale Faktoren hervor, die teils im Wesen der einzelnen Personen gründen, teils sich aus bestimmten Personenkonstellationen ergeben. Die personalen und die transpersonalen Elemente stehen oft in einem Spannungsverhältnis zueinander, da in der Regel der eine oder der andere Aspekt betont wird. Bei den Ausdrucksformen ist zwischen der diegetischen Ebene, der erzählten Welt, und der extradiegetischen Ebene, dem Bericht des Erzählers über diese Welt, zu unterscheiden. Auf der diegetischen Ebene drückt sich die Transpersonalität etwa darin aus, dass bestimmte Vorgänge in den Quellen oft über Jahrhunderte hinweg immer wiederkehren wie Königserhebungen, das Feiern bestimmter Feste oder das Abhalten von Beratungen. Auch die Abzeichen der Herrschaft, deren Weitergabe oft ausdrücklich thematisiert wird, gehören hierher. Dem steht der persönliche Herrschaftsstil von obersten Herrschaftsträgern entgegen, der oft von einer gedachten Norm abweichen kann und entsprechende Reaktionen auslöst. Auf der extradiegetischen Ebene machen die Anlage der Erzählung oder explizite Kommentare eines Quellenverfassers oder einer Quellenverfasserin deutlich, dass nicht nur zwischen der Person des Herrschers und dem Amt des Herrschers, sondern überhaupt zwischen Personen und ihren Rollen in der gedachten Ordnung unterschieden wurde. Daher ist es für den gesamten SFB wichtig, vormoderne Gemeinwesen nicht generell als weitgehend durch personale Herrschaft charakterisiert zu sehen, genauso wie es umgekehrt falsch wäre, Herrschaft in heutigen Gemeinwesen als weitgehend transpersonal organisiert zu sehen. Personalität und Transpersonalität von Macht und Herrschaft bestehen immer nebeneinander. Daher ist es für die Arbeit im Spannungsfeld zentral, die konkreten Ausdrucksformen von beiden genauer zu untersuchen und transkulturell auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin zu vergleichen.

Die internationale Tagung zum Spannungsfeld B ‚Die Macht des Herrschers‘ fand vom 23. November bis 25. November 2017 statt und wurde von den Teilprojekten 01 Albert, 05 Brüggen und 11 Klaus organisiert. Die Beiträge liegen in gedruckter Form vor.[4] Ziel der Tagung war es, die strikte Entgegensetzung von ‚Personalität‘ und ‚Transpersonalität‘ von Herrschaft und damit auch das einflussreiche Postulat einer vorwiegend personal geprägten vormodernen Macht und Herrschaft zu hinterfragen und durch den transkulturellen Vergleich die Chance zu eröffnen, die Frage nach dem Stellenwert von Unterscheidungen wie ‚öffentlich/privat‘ oder ‚repräsentativ/körperlich‘ neu aufzuwerfen. Es zeigte sich, dass personale und transpersonale Elemente vormoderner Macht und Herrschaft gleichzeitig auftreten und sich gegenseitig überlagern können. Daher sollte sich die Forschung von dem weit verbreiteten Narrativ einer kontinuierlichen Entwicklung von der personalen Herrschaft hin zum transpersonalen Staat lösen, da Macht und Herrschaft immer sowohl personale als auch transpersonale Merkmale aufweisen.[5] Als weiteres Ergebnis konnte festgestellt werden, dass Vorstellungen, Werte und Normen vom ‚guten‘ Herrscher ein wichtiger Faktor für die transpersonale Fundierung von Macht und Herrschaft waren. Dieser Aspekt zeigte sich auch bei der Interaktion des Herrschers oder der Herrscherin mit den Eliten und den ‚Beherrschten‘, wodurch Prozesse der Stabilisierung herrscherlicher Macht, aber auch Dynamiken ihrer Infragestellung und ihres Verlusts in den Vordergrund gerückt werden konnten.

 

[1]Vgl. dazu Anter 22007.

[2]Demel 2010, 171f.; allerdings ist umstritten, ob zur Beschreibung des zeitgenössischen Verständnisses im europäischen Frühmittelalter ‚Reich‘ tatsächlich ein adäquater Begriff sei, so vor allem Fried 1982; Ders. 1994; vgl. dagegen: Goetz 1986; Ders. 1987; Ders. 2000; ebenfalls skeptisch gegenüber Frieds Zuspitzung: Tremp 1998; Nelson 1990.

[3]Von Moos 1998.

[4]Albert/Brüggen/Klaus (edd.) 2019.

[5]Esders 2019.

 


Koordination: Prof. Dr. Matthias Becher

 

Teilprojekte