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Version vom 23. Juni 2021, 14:01 Uhr
Konflikt und Konsens
Die beteiligten Projekte begreifen Konflikt und Konsens als zwei miteinander in Beziehung stehende Pole. Die Ausübung von Herrschaft zielt auf andere Personen oder Gruppen und birgt daher stets die Gefahr in sich, Widerstand hervorzurufen. Um daraus resultierende Konflikte zu minimieren und im Idealfall ein von Konsens geprägtes Verhältnis zwischen Herrscher und Beherrschten zu erreichen, spielen Leistung und Gegenleistung sowie Legitimationsstrategien eine zentrale Rolle. Je stärker die Ausübung von Macht und Herrschaft legitimiert ist, desto geringer sind der zu erwartende Widerstand und die Gefahr eines Konfliktes. Zu den Formen solcher Legitimation gehören neben materiellen Ressourcen und personellem Rückhalt unter anderem auch Diskurshoheit, Sakralität und Genealogie.
Die im Spannungsfeld A angesiedelten Projekte stellen das Verhältnis zwischen oberstem Herrschaftsträger, Eliten und Beherrschten in den Mittelpunkt ihrer Forschungen. Alle Projekte untersuchten in der ersten Förderphase Strategien zur Legitimierung und Stabilisierung existierender Konfigurationen von Macht und Herrschaft. Ein besonderer Fokus lag dabei auf sakralen Legitimationsstrategien (TP 14 Orthmann, TP 17 Schwieger, TP 20 Vössing) sowie auf der schriftlichen Kommunikation von Legitimationsstrategien in der Geschichtsschreibung und in Urkunden (TP 02 Becher/Dohmen, TP 06 Conermann, TP 15 Plassmann, TP 17 Schwieger). Intensiv wurden auch Baudenkmäler, Münzen, Wappen und Siegel (TP 03 Bemmann, TP 04 Bremer, TP 17 Schwieger, TP 22 Stieldorf) unter dem Aspekt der Legitimierung und Stabilisierung von Macht und Herrschaft betrachtet. Als besonders aussagekräftig erwies es sich, Situationen der politischen Routine wie Versammlungen und der Empfang von Gesandtschaften (TP 02 Becher/Dohmen, TP 09 Kauz) mit Übergängen oder gar krisenhaften Zuspitzungen zu kontrastieren wie der Herrschernachfolge (TP 02 Becher/Dohmen, TP 20 Vössing) oder tiefgreifenden Veränderungen bis hin zu Transformationsprozessen (TP 04 Bremer, TP 16 Schwermann).
Die Quellen verfolgen im Hinblick auf Konsensfindung oft einen didaktischen Zweck und spiegeln so die Erwartungshaltungen der Akteure und Rezipienten. Die Ausdrucksformen der Konflikte reichen von Disputen und Widerstand über mangelnden Gehorsam, Herrscherkritik durch Untergebene bis hin zu militärischen Konflikten. Konsens wird mit Hilfe mündlicher Kommunikation, schriftlicher Abmachungen oder auch symbolischer Handlungen bzw. Inszenierungen auf Versammlungen ausgedrückt. Längerfristig betrachtet gibt es gleitende Übergänge von Konflikt und Konsens; auch treten sie oft nebeneinander auf, und gerade Konflikte mit Dritten sind geeignet, den Konsens innerhalb einer Gruppe zu vergrößern. Der SFB 1167 betrachtet daher das Wechselspiel von Konflikt und Konsens als grundlegende Erscheinungsform von Macht und Herrschaft. Entscheidende Bedeutung kommt dabei dem Mit- und Gegeneinander von oberstem Herrschaftsträger und politischen Eliten zu, wobei die konkrete Herrschaftsform nur selten in Frage gestellt wird.
Eine begleitende internationale Tagung zu Spannungsfeld A mit dem Titel ‚Vormoderne Herrschaften zwischen Konflikt und Konsens – Stabilität und Instabilität / Premodern Rulers between Conflict and Consensus – The Potential for (In)Stability‘ fand vom 7. bis 9. November 2018 statt und wurde von den Teilprojekten 04 Bremer, 09 Kauz und 20 Vössing organisiert. Die Beiträge der Tagung werden derzeit für den Druck vorbereitet. Vorträge und Diskussionen haben gezeigt, dass die Kategorien ‚Konflikt‘ und ‚Konsens‘, ihre Handlungsspielräume und Regelhaftigkeiten nur unter Berücksichtigung kultureller Eigenheiten sowie des historischen Kontextes erfasst und sichtbar gemacht werden können, wobei strukturelle Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Ausprägungen von Macht und Herrschaft durchaus erkennbar sind. Situationsbedingt können Konflikte sowohl herrschaftserschütternd als auch stabilisierend wirken; dies gilt sowohl für äußere als auch für innere Konflikte. Betrachtet man ihre längerfristigen Auswirkungen, so zeigt sich, dass sie durch Rituale oder Normen eingedämmt werden und sogar konstruktiv wirken können. Dabei erscheint Konsensfindung – in einem sehr reduzierten Verständnis der schlichten Anerkennung der bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse – als stetiger Prozess und kann dabei sowohl erzwungen, erkämpft, rechtlich festgelegt als auch friedlich vereinbart werden. Konsens als Ziel dieses Prozesses kann durch Zeremonien, Argumentation und Geschenke, aber eben auch durch Drohungen und Gewalt erreicht werden. In den Diskussionen im Spannungsfeld A über die Ergebnisse der Tagung wurde in diesem Zusammenhang der Begriff ‚Konsenskulturen‘ geprägt, der die Vielgestaltigkeit der Bedingungen, Ausführungen und Auswirkungen der Konsensgestaltung auf den Punkt bringt. Wie die zahlreichen Beispiele aus ganz unterschiedlichen Räumen, Kulturen und Epochen zeigten, stehen Konflikt und Konsens in direktem Zusammenhang und weisen vielschichtigere Zwischenformen und Übergänge auf, als die Termini zunächst vermuten lassen.
Koordination: Prof. Dr. Konrad Vössing