Spannungsfeld D

Aus Macht und Herrschaft
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Kritik und Idealisierung

Die im Spannungsfeld D versammelten Teilprojekte gingen von der Prämisse aus, dass für die Anerkennung und Ausübung von Macht und Herrschaft das soziale Wissen konstitutiv sei. Demnach basiert das Zusammenleben einer jeden Gesellschaft auf einem gemeinsamen, allgemein akzeptierten Wissen über die normativen Grundelemente ihrer Ordnung.[1] In diesem Rahmen kann Macht und Herrschaft nur eine Person ausüben, der sie nach dem verbreiteten Wissen in legitimer Weise zustehen.[2] Zentral ist daher die Frage, wie dieses Wissen geprägt, verbreitet und gegebenenfalls verändert wird, und wer darauf mit welchen Mitteln Einfluss ausübt. So konstruieren Herrscher*innen, gebildete Eliten oder auch herrscherkritische Publizist*innen ihre Wirklichkeit, indem sie im öffentlichen Diskurs ihre Wahrheit und ihr Wissen erfolgreich verbreiten und im Falle von deren Etablierung normative, temporale und organisatorisch-konstitutionelle Identitäten stiften. Das Spannungsfeld D untersuchte diese Diskursivierung von Macht und Herrschaft. Dabei stand vor allem die Frage nach ‚guter‘ und ‚schlechter‘ Herrschaft im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses mit dem Ziel einer Annäherung an zeitgenössische Konzepte von Macht und Herrschaft, den mit ihnen verbundenen Rechten und Pflichten, ebenso wie der Wünsche, Erwartungen und Forderungen, die an den Herrscher oder die Herrscherin herangetragen werden.

Die Teilprojekte verfolgten das Ziel, über zeitgenössische Wahrnehmungen jenes soziale Wissen und jene Kategorien bei der Bewertung von Macht und Herrschaft aufzuspüren, auf deren Grundlage Macht und Herrschaft ausgeübt, anerkannt oder angefochten wurden. Die diskursive Einbettung von Kritik und Idealisierung stellte in der ersten Förderphase einen gemeinsamen Bezugspunkt einer Reihe von Projekten (TP 01 Albert, TP 05 Brüggen, TP 08 Dumitrescu, TP 10 Kellermann, TP 11 Klaus, TP 21 Wolter-von dem Knesebeck) dar. Das Ideal erwies sich dabei als Richtschnur, an der die reale Welt gemessen wird (TP 06 Conermann, TP 11 Klaus), oder im Sinn einer Selbstdarstellung als Spiegel davon, wie ein Herrscher sich selbst sieht und inszeniert bzw. gesehen werden will (TP 01 Albert, TP 20 Vössing, TP 21 Wolter-von dem Knesebeck). Auf der anderen Seite zeigte sich auch, dass Kritik als Gegenbild eines Ideals verstanden werden kann (TP 11 Klaus, TP 21 Wolter-von dem Knesebeck), als Mittel der Destabilisierung (TP 10 Kellermann, TP 15 Plassmann) oder – im Falle kanalisierter Kritik – der Stabilisierung (TP 16 Schwermann). Dabei konnten die Teilprojekte deutlich zeigen, dass alle Formen von Kritik und Idealisierung mit den real erlebten Formen der Ausübung von Macht und Herrschaft in Beziehung stehen.

Als Akteure erscheinen oberste Herrschaftsträger und die sie unterstützenden politischen und militärischen Eliten. Freilich geben die Quellen allenfalls ein Stück weit Einblicke in die Aussagen und Positionierungen dieser Personen und Gruppen, da ihre Absichten, Pläne und Ziele kaum thematisiert werden. Gleichwohl werden über die Quellen zeitgenössische Diskurse greifbar, die oft am Herrscherhof oder in den Eliten verortet werden können. Die zugehörigen Aussagen oszillieren zwischen Kritik und Idealisierung. Deren Ausdrucksformen hängen von Nähe oder Distanz der Verfasser*innen oder Objektschaffenden zum obersten Herrschaftsträger ab: Kritik wird bis auf wenige Ausnahmen retrospektiv formuliert; Idealisierungen werden dagegen vor allem in zeitgenössischen Texten geäußert. In diesen kommt Kritik nur im Falle tiefgreifender Spannungen innerhalb eines Herrschaftsraumes zum Ausdruck, wenn sich Teile der Eliten in Opposition zum obersten Herrschaftsträger befinden. Insgesamt zeigt sich, dass zumindest Teile der Eliten die Produktion historischer Erinnerung kontrollierten und damit einen entscheidenden Beitrag zur Etablierung und Legitimierung von Macht und Herrschaft beitrugen. Damit bestätigt sich die Grundannahme des SFB 1167: Über eine Untersuchung von Kritik und Idealsierung von Macht und Herrschaft können historische Diskursräume erschlossen werden, die für das Verständnis dieser Phänomene fundamental sind.

Die internationale Tagung zum Spannungsfeld fand vom 12. bis zum 14. April 2018 unter dem Titel ‚Kritik am Herrscher. Möglichkeiten, Chancen, Methoden / Criticizing the Ruler. Possibilities, Chances, Methods‘ statt und wurde von den Teilprojekten 10 Kellermann, 15 Plassmann und 16 Schwermann organisiert. Die Tagung, deren Beiträge in gedruckter Form vorliegen,[3] konnte herausstellen, dass Herrscherkritik von mehreren Parametern bestimmt wird: Freiräume für Kritik fallen in den diversen politischen Modellen unterschiedlich aus. Die frei formulierte spontane Kritik befindet sich an einem Ende des Spektrums, die Institution mit formalen Vorgaben am anderen Ende. Der direkten Kritik in dafür vorgesehenen Medien oder von dafür vorgesehenen Personen steht die indirekte Kritik gegenüber, die in kontingenten Formen und von Menschen außerhalb des Systems erfolgen kann. Insgesamt erwies sich die Herrscherkritik als ein Kommunikationsakt, dessen Zielsetzung im Wandel eines herrscherlichen Aktes, der Änderung der Herrschaftsform oder auch der Selbstvergewisserung politischer Akteure dienen kann. Die Herrscherkritik kann dabei durchaus situationsbedingt in unterschiedlichen Gattungen zur Sprache kommen, wobei die Gattung wiederum auch Einfluss auf die Methode der Kritik hat. Im Wechselspiel von Herrscher und Eliten ist die Herrscherkritik ein Machtinstrument, das nicht nur der Herrscherlenkung dient, sondern gegebenenfalls auch auf Erhalt oder Wandel eines Systems zielen kann.

 

[1]Vgl. Barnes 1988.

[2]Vgl. Haugaard 1997.

[3]Kellermann/Plassmann/Schwermann (edd.) 2019.

 


Koordination: Prof. Dr. Elke Brüggen