Konsens

Aus Macht und Herrschaft
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Vormoderne gesellschaftliche Ordnungen scheinen sich mitunter durch die formale Unbeschränktheit der Entscheidungsgewalt des obersten Herrschaftsträgers auszuzeichnen. Seitdem Bernd Schneidmüller für das europäische Mittelalter den Begriff der „Konsensualen Herrschaft“ geprägt hat, wird dem Aushandlungscharakter mittelalterlicher Herrschaft zunehmend größere Aufmerksamkeit gewidmet. Die ITW (TP 02 Becher/Dohmen, TP 06 Conermann, TP 16 Schwermann) verfolgt das Ziel, über den konkreten Blick auf konsensuale Elemente vormoderner politischer Entscheidungsfindung dieses Konzept der Konsensualen Herrschaft weiter zu schärfen und seine Tragfähigkeit im interkulturellen Vergleich zu überprüfen. Dabei stehen der Herrscher und sein Verhältnis zur politischen Elite des Reiches im Fokus. Die folgenden Fragen und Überlegungen sollen die Grundlage des angestrebten Vergleichs entsprechender Phänomene in unterschiedlichen Epochen und sozialen Ordnungen bilden:

Während sich die aktive Teilhabe an Entscheidungsfindungsprozessen von Seiten der Eliten als ‚Partizipation‘ bezeichnen lässt, können wir die formale Akzeptanz ihrer Ergebnisse als ‚Zustimmung‘ auffassen. Wer eine Entscheidung andererseits hinnimmt, ohne ihr offiziell zuzustimmen, der ‚duldet‘ sie lediglich. Die Bereitschaft schließlich, eine einmal getroffene Entscheidung in die Tat umzusetzen, lässt sich als ‚Kooperation‘ bezeichnen. Inwiefern können also verschiedene Grade konsensualer Herrschaft unterschieden werden? Lässt sich auf dieser Grundlage eine Typologie, gerade auch im transkulturellen Vergleich, erarbeiten? Dabei ist zu überlegen, in welcher Form konsensuale Elemente politischer Entscheidungsfindung überhaupt in unterschiedlichen Quellen (Chroniken, Urkunden, Throneingaben, Fürstenspiegeln usw.) begegnen, welche Begriffe für sie verwendet werden und welche Rolle sie in diesen Texten selbst spielen. Inwiefern sind dabei auch religiöse und grundsätzlich geistesgeschichtliche Auffassungen von Konsens zu erkennen und welche theoretischen Reflexionen des Konzeptes sind vorhanden? Nimmt man die beteiligten Akteure näher in den Blick, stellt sich die Frage, wer Zugang zu politischen Entscheidungen erhielt und was diese Akteure dazu qualifizierte. Was machte die Herrscher*innen überdies als solche aus? Was unterschied sie – formell wie informell – von anderen am Entscheidungsprozess beteiligten Akteuren? Was die Entscheidungsfindungsprozesse selbst anbelangt, ist nach dem Grad ihrer Institutionalisierung zu fragen: Standen den Herrschenden etablierte Foren wie Hoftage, Hofkonferenzen oder bestimmte, klar unterschiedene Formen der Beratung zur Verfügung oder vollzogen sich entsprechende Aushandlungen ohne institutionellen Rahmen? Auf der Sachebene ist zu überlegen, welche Themenbereiche als Gegenstand konsensualer Entscheidungsfindung in Frage kamen, in welchen Angelegenheiten Herrscher auf Konsens angewiesen waren oder ihn für sich nutzbar machen konnten.

Diese Fragen diskutierten die Beteiligten der ITW auf einem zweitägigen Workshop im November 2017 mit auswärtigen Experten aus der Byzantinistik, der Mittelalterlichen Geschichte, der Islamwissenschaft und der Sinologie, unter anderem aus dem Münsteraner SFB 1150 ‚Kulturen des Entscheidens‘, dessen Diskussionen zur Prozesshaftigkeit von Entscheidungen[1] so für Fragen nach Vorstellungen von Konsens geprägten Phänomenen von Macht und Herrschaft fruchtbar gemacht werden konnten. In Kurzvorträgen präsentierten die Teilnehmer*innen Probleme der Entscheidungsfindung in vormodernen Ordnungen unter besonderer Berücksichtigung konsensualer Elemente bei der Ausübung von Herrschaft. Dabei ging es um die Personenkreise, die an der Entscheidungsfindung beteiligt waren, in welchen institutionellen Bahnen diese gegebenenfalls verlief und die Rolle der Beratungen. Es zeigte sich, dass eine gemeinschaftliche Entscheidungsfindung oft auch den Idealvorstellungen von guter Herrschaft entsprach, auf die in den Quellenberichten explizit oder öfters implizit Bezug genommen wurde. An diesem Ideal sollten sich die obersten Herrschaftsträger und ihre Eliten orientieren und haben dies auch regelmäßig getan. Eindrücklich wurde noch einmal deutlich, dasskein vormoderner Herrscher und keine vormoderne Herrscherin allein regierte, sondern nur im Verbund mit anderen, die in unterschiedlich starkem Maße an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt waren, wobei die formale Entscheidung in der Regel doch von den obersten Herrschaftsträgern selbst gefällt wurde.Die Ergebnisse des Workshops liegen in gedruckter Form vor.[2]
 

[1]Vgl. [[|Stollberg-Rilinger 2016; Hoffmann-Rehnitz/Krischer/Pohlig 2018]].

[2]Dohmen/Trausch (edd.) 2019.


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