Herrscherkritik/Ratgeber: Unterschied zwischen den Versionen
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<span style="line-height:normal"><span style="page-break-after:avoid">Das Ziel der beteiligten Teilprojekte (TP 01 Albert, TP 05 Brüggen, TP 06 Conermann, TP 10 Kellermann, TP 11 Klaus, TP 15 Plassmann, TP 16 Schwermann, TP 20 Vössing, TP 22 Stieldorf) war es zunächst, Kriterien der Kritik an obersten Herrschaftsträgern zu entwickeln. In komparativer Arbeitsweise wurden von den Mitgliedern der ITW Fallbeispiele der einzelnen Teilprojekte vorgestellt und diskutiert, um übergreifende Kriterien adäquat erfassen zu können. Zu diesem Zweck wurde in den ersten Arbeitstreffen zunächst ein Schema erarbeitet, mit dessen Hilfe die Kritik am Herrscher oder an der Herrscherin kategorisiert werden kann. Als grundlegende Kriterien sind festgehalten worden: Adressaten der Kritik, die (offenen) Kritiker selbst, Ziele der Kritik, Maßstäbe der Kritik, Foren der Kritik und schließlich die Rezeption der Kritik. Diese Kriterien können sowohl textimmanent als auch außerhalb des Textes angewandt werden. Das Schema ist von den einzelnen Teilprojekten für ihre fachimmanenten Untersuchungen zur Kategorisierung ihrer jeweiligen Quellenstellen genutzt worden. In weiteren Treffen wurde beschlossen, auf eine spezielle Situation zu fokussieren, um anhand dieses Beispiels die interdisziplinären Möglichkeiten der Kritikkategorien auszuloten und vergleichend anzugehen. Als besonders für einen transkulturellen Vergleich geeignete Figur ist ‚der Ratgeber‘ – oder die Ratgeberin – identifiziert worden, da diese Figur in allen an der ITW beteiligten Teilprojekten begegnet. In einer beliebten Darstellungsstrategie äußert der Ratgeber oder die Ratgeberin textintern Kritik am Herrscher, was mit der textexternen Sicht des Verfassers oder der Verfasserin übereinstimmen kann. Ratgeber*innen können aber auch im Fokus der Kritik stehen, wenn sie schlechte Ratschläge geben. Die Kritik am Herrscher oder der Herrscherin kann darin zum Ausdruck kommen, dass er oder sie einen schlechten Rat annimmt oder einen guten Rat ausschlägt. Daher ist die Fähigkeit, Ratschläge anzuhören, zu bewerten und gegebenenfalls zu befolgen, transkulturell fester Bestandteil des Herrscherideals. Weiter ist zwischen institutionalisiertem Rat wie in China, semi-institutionalisiertem Rat, gegeben von Personen, denen auf Grund ihrer Stellung oder ihres Standes Gehör gegeben werden sollte – hier ist insbesondere auch die Gemahlin des Herrschers, in Ausnahmefällen auch der Gemahl der Herrscherin, zu nennen –, und nicht-institutionalisiertem Rat durch Personen, die punktuell-situativ tätig werden, zu unterscheiden. Im Fokus der Kritik stehen eher die beiden zuerst genannten Gruppen, an denen sich Herrschaftsstrukturen festmachen lassen, während nicht-institutionalisierte Ratgeber*innen, deren Rat in außergewöhnlichen Situationen erfolgt, eher positiv konnotiert sind. Auch institutionalisierte Ratgeber*innen haben für den Ratschlag gewisse Bedingungen zu beachten. So zeigt ein transkultureller Blick auf die Quellen, dass sich bestimmte narrative Grundmuster durchaus entsprechen können; die Anzahl der Wiederholungen eines Rates etwa spielt eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung eines Ratgebers oder einer Ratgeberin. Höhere Anforderungen werden an nicht institutionalisierte Ratgeber*innen gestellt, deren oftmals ungefragt erteilter Ratschlag einer besonderen Legitimierung bedarf. So können diese Ratgeber*innen über besondere Kompetenzen – etwa astronomische Deutungskünste – verfügen oder in einer besonderen Situation tätig werden, etwa wenn der Herrscher oder die Herrscherin selbst Rat sucht oder zumindest dafür empfänglich ist.</span></span> | |||
</div> [[Category:Interdisziplinäre Transkulturalitätswerkstätten]] | <span style="font-size:10.0pt"><span style="font-family:" arial",sans-serif"="">Im Juni 2018 fand ein ganztägiger Workshop über die Rolle der Ratgeber statt, auf dem sich zeigte, dass das von der ITW entwickelte Schema der Kategorisierung von Herrscherkritik erfolgreich und zielführend benutzt werden kann, um transkulturelle Verbindungslinien herauszuarbeiten. Die Fähigkeit zum Ratschlag ist vor diesem Hintergrund als Machtressource zu verstehen, die in den Quellen deutlich von den konkreten Herrschaftsstrukturen unterschieden wird. Aus dem Workshop geht ein Sammelband hervor, der sich im Druck befindet und 2020 erscheinen wird (Alheydis Plassmann [ed.] [2020], Die Figur des Ratgebers [Studien zu Macht und Herrschaft 6], Göttingen).</span></span></div> [[Category:Interdisziplinäre Transkulturalitätswerkstätten]] |
Version vom 19. Mai 2021, 14:44 Uhr
Das Ziel der beteiligten Teilprojekte (TP 01 Albert, TP 05 Brüggen, TP 06 Conermann, TP 10 Kellermann, TP 11 Klaus, TP 15 Plassmann, TP 16 Schwermann, TP 20 Vössing, TP 22 Stieldorf) war es zunächst, Kriterien der Kritik an obersten Herrschaftsträgern zu entwickeln. In komparativer Arbeitsweise wurden von den Mitgliedern der ITW Fallbeispiele der einzelnen Teilprojekte vorgestellt und diskutiert, um übergreifende Kriterien adäquat erfassen zu können. Zu diesem Zweck wurde in den ersten Arbeitstreffen zunächst ein Schema erarbeitet, mit dessen Hilfe die Kritik am Herrscher oder an der Herrscherin kategorisiert werden kann. Als grundlegende Kriterien sind festgehalten worden: Adressaten der Kritik, die (offenen) Kritiker selbst, Ziele der Kritik, Maßstäbe der Kritik, Foren der Kritik und schließlich die Rezeption der Kritik. Diese Kriterien können sowohl textimmanent als auch außerhalb des Textes angewandt werden. Das Schema ist von den einzelnen Teilprojekten für ihre fachimmanenten Untersuchungen zur Kategorisierung ihrer jeweiligen Quellenstellen genutzt worden. In weiteren Treffen wurde beschlossen, auf eine spezielle Situation zu fokussieren, um anhand dieses Beispiels die interdisziplinären Möglichkeiten der Kritikkategorien auszuloten und vergleichend anzugehen. Als besonders für einen transkulturellen Vergleich geeignete Figur ist ‚der Ratgeber‘ – oder die Ratgeberin – identifiziert worden, da diese Figur in allen an der ITW beteiligten Teilprojekten begegnet. In einer beliebten Darstellungsstrategie äußert der Ratgeber oder die Ratgeberin textintern Kritik am Herrscher, was mit der textexternen Sicht des Verfassers oder der Verfasserin übereinstimmen kann. Ratgeber*innen können aber auch im Fokus der Kritik stehen, wenn sie schlechte Ratschläge geben. Die Kritik am Herrscher oder der Herrscherin kann darin zum Ausdruck kommen, dass er oder sie einen schlechten Rat annimmt oder einen guten Rat ausschlägt. Daher ist die Fähigkeit, Ratschläge anzuhören, zu bewerten und gegebenenfalls zu befolgen, transkulturell fester Bestandteil des Herrscherideals. Weiter ist zwischen institutionalisiertem Rat wie in China, semi-institutionalisiertem Rat, gegeben von Personen, denen auf Grund ihrer Stellung oder ihres Standes Gehör gegeben werden sollte – hier ist insbesondere auch die Gemahlin des Herrschers, in Ausnahmefällen auch der Gemahl der Herrscherin, zu nennen –, und nicht-institutionalisiertem Rat durch Personen, die punktuell-situativ tätig werden, zu unterscheiden. Im Fokus der Kritik stehen eher die beiden zuerst genannten Gruppen, an denen sich Herrschaftsstrukturen festmachen lassen, während nicht-institutionalisierte Ratgeber*innen, deren Rat in außergewöhnlichen Situationen erfolgt, eher positiv konnotiert sind. Auch institutionalisierte Ratgeber*innen haben für den Ratschlag gewisse Bedingungen zu beachten. So zeigt ein transkultureller Blick auf die Quellen, dass sich bestimmte narrative Grundmuster durchaus entsprechen können; die Anzahl der Wiederholungen eines Rates etwa spielt eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung eines Ratgebers oder einer Ratgeberin. Höhere Anforderungen werden an nicht institutionalisierte Ratgeber*innen gestellt, deren oftmals ungefragt erteilter Ratschlag einer besonderen Legitimierung bedarf. So können diese Ratgeber*innen über besondere Kompetenzen – etwa astronomische Deutungskünste – verfügen oder in einer besonderen Situation tätig werden, etwa wenn der Herrscher oder die Herrscherin selbst Rat sucht oder zumindest dafür empfänglich ist.
Im Juni 2018 fand ein ganztägiger Workshop über die Rolle der Ratgeber statt, auf dem sich zeigte, dass das von der ITW entwickelte Schema der Kategorisierung von Herrscherkritik erfolgreich und zielführend benutzt werden kann, um transkulturelle Verbindungslinien herauszuarbeiten. Die Fähigkeit zum Ratschlag ist vor diesem Hintergrund als Machtressource zu verstehen, die in den Quellen deutlich von den konkreten Herrschaftsstrukturen unterschieden wird. Aus dem Workshop geht ein Sammelband hervor, der sich im Druck befindet und 2020 erscheinen wird (Alheydis Plassmann [ed.] [2020], Die Figur des Ratgebers [Studien zu Macht und Herrschaft 6], Göttingen).