Samoderžcy i edinoderžavie – Die Begründung des zentralistischen Alleinherrschaftsanspruches der russischen Zaren in der 'Zeit der Wirren' unter besonderer Berücksichtigung der Auswahl- und Berufungsverfahren von Boris Godunov und Michail Romanov: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Macht und Herrschaft
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== Abstract ==
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== <span style="font-size:small;"><span style="font-family:Arial,Helvetica,sans-serif;">Als ''Smuta'' wird in der russischen Geschichte eine Zeitspanne (1598–1613) zwischen dem Tod des letzten Zaren aus der Rjurikiden-Familie Fedor Ioannovič und der Berufung auf den Thron von Michail Fedorovič, dem Gründer der Romanov-Dynastie, bezeichnet. In der kurzen Periode von 15 Jahren erlebte Russland den Wechsel von vier Herrschern: Boris Godunov, Fedor Godunov, Pseudodemetrius und Vasilij Šujskij. Im Interesse seiner politischen Unantastbarkeit und rein körperlichen Unversehrtheit war jeder von ihnen in außerordentlichem Maße darum bemüht, nicht nur seine persönliche Position im staatlichen Gefüge mit Hilfe unterschiedlicher Strategien zu befestigen, sondern auch die Bedeutung des russischen Zarentums möglichst allumfassend zu gestalten und zur Stärkung seines alleinigen Herrschaftsanspruches beizutragen. Dabei untersucht das Projekt&nbsp;den langwierigen und komplizierten Prozess, wie aus der ''alleinigen Herrschaft''&nbsp;der russischen Zaren eine legitimierte und ''uneingeschränkte Selbstherrschaft'' wurde. Das Augenmerk gilt dabei etwa auch der Rolle der Herrschergemahlinnen sowie insgesamt der Frage nach geschlechtsspezifischen Zuweisungen im Prozess der Herrschaftslegitimierung der russischen Zaren und speziell ihrer Regierungsweise. Besondere Aufmerksamkeit verdienen bei diesem Prozess überdies die Beziehungen der künftigen Herrscher zu den Wahlversammlungen, die das gesamte russische Volk repräsentieren sollten, aber vornehmlich aus den Vertretern der obersten Schichten – der Bojaren, Kirchenvertreter und des Dienstadels – bestanden.&nbsp;Der Titel des Projektes ''Samoderžcy i edinoderžavie'' (Selbstherrscher und Alleinherrschaft) greift den Unterschied zwischen der von den russischen Herrschern erstrebten Form ihrer Herrschaftsausübung und dem tatsächlichen Ausmaß ihrer Entscheidungskompetenz auf. Obwohl bereits Ivan IV. (der Schreckliche) in den offiziellen Urkunden seiner Zeit ''samoderžec ''(Selbstherrscher) genannt wurde, bezeichnet die russische Forschung die Herrschaftsform der russischen Zaren bis zum Beginn der Petrinischen Epoche im späten 17. Jahrhundert meist „nur“ als ''edinoderžavie ''(Alleinherrschaft)''. ''Letzterer Begriff bringt die Abhängigkeit der zarischen Stellung von der Meinung und den Bestrebungen der altrussischen Aristokratie, der Bojaren, zum Ausdruck. Das Bojarentum bildete im frühen Russland eine einflussreiche und starke Elite, über deren Willen die russischen Herrscher sich nicht hinwegsetzen konnten, dies jedoch unter anderem durch die Formierung des Dienstadels und mit Unterstützung des Klerus zu ändern suchten. Um sich über die Bojaren zu erheben, bedurfte es einer entsprechenden Begründung mit sakralem Charakter; dies konnte nur durch den „Willen Gottes und des Volkes“ gewährleistet werden. Beides sollte im Rahmen der Berufungsverfahren der Herrscher („''prizvanie na carstvo''“) bei den entsprechenden Kandidaten nachgewiesen werden.</span></span> ==


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Version vom 19. November 2020, 16:35 Uhr

Teilprojekt 07 – TP Dahlmann/Aust
Fachbereich Osteuropäische Geschichte
Spannungsfelder Personalität und Transpersonalität

Zentrum und Peripherie

Interdisziplinäre Transkulturalitätswerkstätten

Autokratien – Legitimation und Partizipation

Frau(en) des Herrschers/Weibliche Herrschaft

Am Anfang der offiziellen russischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts steht das Narrativ eines intelligenten, tapferen, in jeder Hinsicht hochwürdigen Herrschers von Gottes Gnaden (russ. pomazannik Božij) bzw. eines „gutherzigen Zaren-Väterchens“ (russ. car’-batjuška). Das vorliegende Projekt beschäftigt sich mit den historischen Ursprüngen einer solchen bedingungslosen Anerkennung der Legitimation der russischen Herrscherfamilie und ihrer autokratischen Regierungsweise, deren Begründung auf die sogenannte „Zeit der Wirren“ (smuta oder smutnoe vremja, 1598–1613) zurückgeht.

 


Abstract

Als Smuta wird in der russischen Geschichte eine Zeitspanne (1598–1613) zwischen dem Tod des letzten Zaren aus der Rjurikiden-Familie Fedor Ioannovič und der Berufung auf den Thron von Michail Fedorovič, dem Gründer der Romanov-Dynastie, bezeichnet. In der kurzen Periode von 15 Jahren erlebte Russland den Wechsel von vier Herrschern: Boris Godunov, Fedor Godunov, Pseudodemetrius und Vasilij Šujskij. Im Interesse seiner politischen Unantastbarkeit und rein körperlichen Unversehrtheit war jeder von ihnen in außerordentlichem Maße darum bemüht, nicht nur seine persönliche Position im staatlichen Gefüge mit Hilfe unterschiedlicher Strategien zu befestigen, sondern auch die Bedeutung des russischen Zarentums möglichst allumfassend zu gestalten und zur Stärkung seines alleinigen Herrschaftsanspruches beizutragen. Dabei untersucht das Projekt den langwierigen und komplizierten Prozess, wie aus der alleinigen Herrschaft der russischen Zaren eine legitimierte und uneingeschränkte Selbstherrschaft wurde. Das Augenmerk gilt dabei etwa auch der Rolle der Herrschergemahlinnen sowie insgesamt der Frage nach geschlechtsspezifischen Zuweisungen im Prozess der Herrschaftslegitimierung der russischen Zaren und speziell ihrer Regierungsweise. Besondere Aufmerksamkeit verdienen bei diesem Prozess überdies die Beziehungen der künftigen Herrscher zu den Wahlversammlungen, die das gesamte russische Volk repräsentieren sollten, aber vornehmlich aus den Vertretern der obersten Schichten – der Bojaren, Kirchenvertreter und des Dienstadels – bestanden. Der Titel des Projektes Samoderžcy i edinoderžavie (Selbstherrscher und Alleinherrschaft) greift den Unterschied zwischen der von den russischen Herrschern erstrebten Form ihrer Herrschaftsausübung und dem tatsächlichen Ausmaß ihrer Entscheidungskompetenz auf. Obwohl bereits Ivan IV. (der Schreckliche) in den offiziellen Urkunden seiner Zeit samoderžec (Selbstherrscher) genannt wurde, bezeichnet die russische Forschung die Herrschaftsform der russischen Zaren bis zum Beginn der Petrinischen Epoche im späten 17. Jahrhundert meist „nur“ als edinoderžavie (Alleinherrschaft). Letzterer Begriff bringt die Abhängigkeit der zarischen Stellung von der Meinung und den Bestrebungen der altrussischen Aristokratie, der Bojaren, zum Ausdruck. Das Bojarentum bildete im frühen Russland eine einflussreiche und starke Elite, über deren Willen die russischen Herrscher sich nicht hinwegsetzen konnten, dies jedoch unter anderem durch die Formierung des Dienstadels und mit Unterstützung des Klerus zu ändern suchten. Um sich über die Bojaren zu erheben, bedurfte es einer entsprechenden Begründung mit sakralem Charakter; dies konnte nur durch den „Willen Gottes und des Volkes“ gewährleistet werden. Beides sollte im Rahmen der Berufungsverfahren der Herrscher („prizvanie na carstvo“) bei den entsprechenden Kandidaten nachgewiesen werden.

 

Ergebnisse - was wurde erreicht?

Bisher beschäftigte sich das Teilprojekt 07 mit dem Phänomen und der Begründung der Selbstherrschaft der russischen Zaren unter besonderer Berücksichtigung der Herrscherwahlverfahren von Boris Godunov und Michail Romanov zu Beginn und am Ende der sog. ‚Zeit der Wirren‘. Das spezifische Wesen der russischen Autokratie wurde bisher nur sporadisch in der internationalen Forschung und in einzelnen Aspekten lediglich aus rein nationaler russischer Sicht untersucht. Die Untersuchung des Wandels und der stetigen Erweiterung der zentralistischen Alleinherrschaftsansprüche der russischen Zaren mit dem Ziel der Etablierung einer beinahe absolutistischen Macht des Staatsoberhaupts leistete einen direkten Beitrag zum Gesamtertrag des SFB. Am Beispiel von Moskowien wurden die Erlangung und der Ausbau der politischen ‚Macht‘ „als Fähigkeit zum Handeln“ nach der Definition von Anthony Giddens als Grundbedingung für sichere ‚Herrschaft‘ präsentiert. Somit entsteht das Konzept der ‚Macht‘, die als Baustein der Staatlichkeit in der Vormoderne gedeutet werden kann. 

Das TP 07 förderte den interdisziplinären Diskurs innerhalb des SFB in Form der Erstellung des Projektbandes ‚Die ‚Alleinherrschaft‘ der russischen Zaren in der ‚Zeit der Wirren‘ in transkultureller Perspektive‘(im Druck, erscheint Anfang 2021). Die Publikation ist so strukturiert, dass zu allen grundlegenden Aspekten der TP 07-Forschung ein Pendant oder ein Kommentar aus anderen SFB-Projekten geboten wird. Um das ideelle Konstrukt der russischen Selbstherrschaft zu Beginn des 17. Jahrhunderts im transkulturellen Kontext und aus mehreren Perspektiven zu untersuchen, setzte das TP 07 darauf, jeden Forschungsschwerpunkt sowohl aus der innerstaatlichen als auch aus der äußeren (außenpolitischen und ausländischen) Perspektive zu analysieren. So wurde auch im Beitrag des TP 07 zur SFB-Ringvorlesung und dem daraus entstandenen und durch Matthias Becher herausgegebenen SFB-Sammelband "Transkulturelle Annäherungen an Phänomene von Macht und Herrschaft. Spannungsfelder und Geschlechterdimensionen" vorgegangen. Durch die Vernetzung mit einzelnen SFB-Teilprojekten konnte ein Beitrag zur mentalitätsgeschichtlichen Wahrnehmung der ‚uneingeschränkten Macht‘ eines Herrschers in einem transkulturell geprägten moskowitischen Staatsraum unter Berücksichtigung der historischen Analogien sowohl in Westeuropa als auch in Asien geleistet werden.

Als Grundlage des interdisziplinären Diskurses widmet sich der Projektband zuerst dem Phänomen der autokratischen Herrschaftsmodelle und ihrer Machtinstrumente. Dabei werden die Interpretationen des griechischen Modells der ‚Autokratie‘ im Kontext des moskowitischen und japanischen Kulturkreises in ihrer jeweiligen praktischen Umsetzung beispielhaft angeschaut.Die Unmöglichkeit einer direkten Übertragung eines griechischen Modells auf andere Kulturräume wurde dabei schnell bestätigt. Allerdings kann, ausgehend vom griechischen Begriff, sowohl für den russischen als auch den japanischen Fall unter anderem eine klare terminologische Trennung zwischen ‚Autokratie‘ und ‚Tyrannei‘ postuliert werden, was in der modernen Forschung bisher oft verwischt wurde.Der Einfluss der Eliten auf die Gestaltung der Herrscherwahlverfahren, die Thronbesetzungen sowie die Formen der Herrschaftsausübung werden anschließend im zweiten Kapitel an exemplarischen Beispielen aus Moskowien, Kaschmir (TP Klaus) und Japan (TP Taranczewski) multiperspektivisch untersucht. Nachdem die Figur des Herrschers im Mittelpunkt der Betrachtung gestanden hat, stellte sich schnell heraus, dass das etablierte autokratische Modell der russischen Selbstherrschaft ohne Berücksichtigung der moskowitischen Eliten nicht gründlich genug erfasst werden kann. Der dritte Abschnitt zur Bedeutung der religiösen Ideen für ‚Macht‘ und ‚Herrschaft‘ stellt die Vorstellung über das Dritte Rom in den Fokus. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der Bedeutung der ‚heiligen Städte‘ als Legitimationssymbole der Zarenmacht gewidmet. Die Darstellungen zur Idee über das byzantinische Erbe der Moskauer Selbstherrscher werden durch die Analyse aus der Alten Geschichte (TP Vössing) zu Kaiser Konstantin und seinem ‚Zweiten Rom‘ vertieft. Erweitert wird der Blick auf die Rolle der Kirche als Staatsinstrument durch den Beitrag über die russischen Klöster des 17. Jahrhunderts als Räume der Sozialdisziplinierung. Um die Machtbehauptungen in einer politisch-sozialen Krisensituation geht es anschließend im vierten Kapitel, wobei das sog. Phänomen der ‚Selbsternannten‘ (russ.: samozvanstvo) in Moskowien in den Fokus genommen wird. Das Verhältnis von jungen, ehrgeizigen Thronanwärtern zu ihren einflussreichen Ratgebern oder auch Konkurrenten werden am russischen und kastilischen Beispiel in Zusammenarbeit mit dem TP Albert erläutert.Im fünften Kapitel wird auf die Rolle der Frauen und die Formen ihrer Teilhabe an der ‚Herrschaft‘ eingegangen. Dabei wird die Figur der in Polen liberal erzogenen, der ersten gekrönten russischen Zarin Marina Mniszech in Konstrast zum politischen System des patriarchalischen Moskowiens gesetzt. Abgerundet wird das Kapitel mit einem Beitrag aus der Mediävistik (TP Becher/Dohmen) über die Königinnen als Intervenientinnen in ostfränkischen Herrscherurkunden.

Auf der SFB-externen Ebene wurde die internationale Zusammenarbeit mit Kolleg*innen aus den Bereichen der Geschichtswissenschaft, der Slavistik und der Klimatologie aus Großbritannien, Israel, Russland und Deutschland schon im September 2017 im Rahmen des TP 07-Workshops ‚Die Entwicklung der Autokratie im Moskauer/Russischen Reich‘ intensiviert. Die Ergebnisse dieses seitdem kontinuierlich verlaufenden Austausches wurden im Sammelband  "Dieautokratische Herrschaft im Moskauer Reich in der ‚Zeit der Wirren‘ 1598-1613" (erschienen 2019) zur o. g. Tagung  festgehalten. Hierbei wurde auch die Kooperation mit dem TP 16 Schwermann innerhalb des SFB initiiert. Durch das Hinzuziehen der sinologischen Expertise wurde der komparative Aspekt bei den Studien über die Konzentrierung einer uneingeschränkten Macht in den Händen eines Herrschers im interdisziplinären Kontext berücksichtigt und die Auseinandersetzung mit dem Wesen der Autokratie im antiken China im Rahmen des TP 16 Schwermann angestoßen. Der Band untersucht darüber hinaus die ‚Zeit der Wirren‘ nicht nur aus geisteswissenschaftlicher, sondern auch aus klimatologischer Sicht, um auch geosphärische Faktoren und ihre Auswirkungen auf gesellschaftliche Prozesse zu erfassen, in diesem Fall, den Höhepunkt der sog. ‚kleinen Eiszeit‘, die durch schlechte Ernten und Pestepidemien auch eine tiefe politische Krise im Lande förderte. Das Buch fokussiert unter anderem auf die Figur des ersten russischen Zaren Ivan IV., denn das Selbstverständnis der russischen Zaren als Selbstherrscher von Gottes Gnaden geht auf seine theosophischen Überlegungen über das Wesen der Staatsmacht zurück. Entgegengesetzt wird diese Selbstwahrnehmung Ivans des Schrecklichen seiner Darstellung als eines blutigen Tyrannen in deutschsprachigen Flugschriften aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Zudem sind drei miteinander korrespondierende Aufsätze der Frage nach unterschiedlichen Legitimationsstrategien der russischen Selbstherrscher gewidmet, die sich in der ‚Zeit der Wirren‘ vor allem zwischen den Prinzipien der altrussischen Traditionsordnung der Starina und der Auswahl zur Herrschaft bewegten.

Die Archivarbeiten zu dem TP 07 in Moskau, St. Petersburg und in Wolfenbüttel konnten ertragreich abgeschlossen werden. Die Projektmitarbeiterin Diana Ordubadi absolvierte drei mehrwöchige Forschungsaufenthalte in Russland: im Archiv der alten Akten und in der russischen Staatsbibliothek in Moskau sowie in der russischen Nationalbibliothek in St. Petersburg. Dabei fand, kopierte und wertete sie umfangreiches Quellenmaterial aus. Das Ganze bot eine solide Quellengrundlage für eine vertiefte Erforschung des Phänomens der russischen Selbstherrschaft sowie der Instrumente der Herrschaftslegitimierung in Russland. Die Struktur und Arbeitsweise der Landesversammlungen, die die neuen Herrscher auswählten und auf den Thron brachten, wurde rekonstruiert, wobei die Rolle der im Zentrum sitzenden Eliten klar hervorgehoben werden konnte. Darüber hinaus konnte der Forschungsstand über die politische Bedeutung der ersten russischen, offiziell als solche gekrönten Zarin Marina vertieft werden.

Der Projektleiter Dittmar Dahlmann befasste sich unter anderem intensiv mit der ausländischen Wahrnehmung Moskowiens sowie der russischen Selbstherrscher anhand der Manuskripte zweier deutschsprachiger Zeitzeugen Conrad Bussow, einem Söldner aus dem niedersächsischen Raum, und Hans Georg Peyerle, einem Juwelier aus Augsburg , die sich zur ‚Zeit der Wirren‘ in Moskowien aufhielten und Aufzeichnungen über die Macht- und Herrschaftsstrukturen hinterließen. Aufschlussreich waren in diesem Kontext etwa die Beobachtungen über die Ausübung von Macht durch den russischen Zaren, die Peyerle mit den in Polen und im westlichen Europa üblichen Praktiken kontrastiert. Interessant sind auch seine Feststellungen über Techniken der Repräsentation durch besonders kostbares Geschirr. Vergleichend widmete sich der Projektleiter unter anderem den zeremoniellen Aspekten der Machtdemonstrationen der Moskauer Zaren, was auf der ergiebigen Kooperation mit dem TP 14 Orthmann basierte.

Durch sorgfältige Auswertung der bisherigen Literatur und der Quellen in Wolfenbüttel konnte der Projektleiter feststellen, dass die bisherigen Texteditionen zu Bussow und Peyerle in hohem Maße fehlerhaft sind. Solche Texte wie die von Conrad Bussow oder Hans Georg Peyerle bieten im Gegensatz zu russischen, stark kanonisierten Darstellungen der Zeit lebendige Einblicke in das Alltagsleben des Moskauer Kremls oder in die sich verbreitenden Gerüchte über die Machtinhaber unter dem einfachen russischen Volk in der russischen Hauptstadt. Darüber hinaus fokussierte sich der Projektleiter auch auf die Figur des Lžedmitrij (Pseudodemetrius) in der zeitgenössischen Wahrnehmung im Westen sowie in der deutschsprachigen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. Dieser Aspekt konnte in enger Zusammenarbeit mit dem TP 01 Albert über ‚junge Thronfolger und alte Ratgeber‘ auch aus literaturwissenschaftlicher Sicht vergleichend vertieft werden.

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit wurde SFB-intern innerhalb der Spannungsfelder B und C sowie auf der ITW-Ebene intensiviert. Durch regelmäßige Beteiligung an der ITW ‚Die Frau(en) des Herrschers‘ steuerte das TP 07 historische Beispiele für die Formen der weiblichen Macht am russischen Hofe als Projektionsfläche für die innerhalb der ITW besprochenen transkulturellen Aspekte der Gender-Studies bei. Im Rahmen der durch das TP 07 initiierten ITW ‚Autokratien – Legitimation und Partizipation‘, die als eine offene Austauschplattform gegründet wurde, wurden die besonderen Formen der Machtverhältnisse zwischen autoritären Herrschern und ihren Herrschaftseliten im offenen Format diskutiert. Der ITW ging es vor allem um die Vereinheitlichung der disziplinspezifischen Definitionen von Autokratie und ihren vormodernen Ausprägungen. Die Ergebnisse der ITW-Arbeit wurden im Rahmen des ITW-Workshops ‚Macht und Ohnmacht der Eliten in Autokratien?‘ im Mai 2019 (mit Beiträgen aus TP 07, TP 19 Taranczewski/Schley und TP 13 Morenz) gebündelt.

Durch eigene Untersuchungen und Präsentationen bei den internen Spannungsfeldtreffen B gliederte sich das TP 07 harmonisch in die interdisziplinäre Forschung zu Personalität und Transpersonalität ein, zumal an mehreren Herrschaftsübergängen in Moskowien gezeigt werden konnte, dass die Transpersonalität zu den grundlegenden Merkmalen des Moskauer Herrscheramtes im mittelalterlichen russischen Verständnis gehörte. Methodisch lässt sich das anhand der russisch-orthodoxen Vorstellung über die doppelte Natur eines Herrschers (analog zu „Zwei Körper des Königs“ nach Kantorowicz), nämlich die sterbliche und unsterbliche Natur zugleich (angelehnt an die oströmische Agapetos-Lehre), untersuchen und bietet auf diese Weise ideale Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Teilprojekten innerhalb des Spannungsfelds B.

Zum Tätigkeitsbereich des Spannungsfelds C steuerte das TP einen methodischen Beitrag mit der Präsentation ‚Zentrum und Peripherie: zur Bedeutung und Einordnung des Konzepts in der Osteuropäischen Geschichte‘ bei, was die gemeinsame Suche nach transdisziplinärer Anwendung des Zentrum-Peripherie-Modells unter den Spannungsfeldmitgliedern ankurbelte. Das TP 07 lieferte unter anderem einen Beitrag zu einem SFB-Spannungsfeldreader zum Umgang mit den Quellen innerhalb des TP 07 im Hinblick auf Zentrum und Peripherie. Zusammen mit dem TP 03 Bemmann und dem TP 19 Taranczewski/Schley übernahm zudem das TP 07-Team die Mitorganisation der Spannungsfeldtagung C ‚Core, Periphery, Frontier – Spatial Patterns of Power‘ im März 2019. Eigene Forschungen wurden bei der Tagung mit dem Vortrag der TP 07-Mitarbeiterin ‚‚Moskau als Drittes Rom‘ und Konstantinopel: Das Verhältnis zweier christlich-orthodoxer Zentren im 16. Jahrhundert‘ präsentiert. Somit bot die über die staatlichen Grenzen hinweg wirkende Lehre über das Dritte Rom eine wichtige Verknüpfung mit anderen Teilprojekten und veranschaulichte einen stetigen historischen Wandel der Vorstellungen über Zentrum-Peripherie-Räume, die stets nur als mentale Konstrukte innerhalb der jeweiligen Kulturkreise und nicht als geografische Kategorien zu verstehen sind.

Inhaltlich und methodisch gliedert sich das Projekt außerdem in den TRA 5-Bereich der Universität Bonn harmonisch ein. Bereits mit dem Ansatz einer gezielten Überwindung der eurozentrischen Betrachtungsweise der russischen Selbstherrschaft und der transkulturellen Berücksichtigung der Gegebenheiten eines multiethnischen Staates kann es seine Expertise in die TRA 5 „Vergangene Welten – zeitgenössische Fragen. Kulturen in Zeit und Raum. Kommunikation und Heritage in transdisziplinärer Betrachtung“ gewinnbringend einfließen lassen. Als Vielvölkerreich stellt Russland nämlich einen einzigartigen historischen Raum dar, auf dem ein intensiver Kulturtransfer zwischen Ost und West jahrhundertelang sowohl auf der politischen als auch gesellschaftlichen und der geistes- und ideengeschichtlichen Ebene verlief. Somit übernahm das Moskauer Reich nicht nur eine forschungsrelevante Brückenfunktion in der Kommunikation zwischen Orient und Okzident, sondern vereinte in seinem Staatsmodell verschiedenste Traditionselemente aus Byzanz, Westeuropa und dem Osten. Die Untersuchung solcher Prozesse von transkulturellen Verflechtungen trägt einerseits zur vielseitigen Erfassung des eklektischen Macht- und Herrschaftsmodells in Moskowien bei, eröffnet aber andererseits eine fruchtbare Projektionsfläche für die aktuellen transdisziplinären Diskurse zum Heritage-Konzeptim weitesten Sinne auf der Ebene der Globalgeschichte.

 

Forschungsdaten - wo sind sie zu finden?

 

Primärquellen

 

Sekundärquellen - Bibliografie

  • Nada Boškovska (1998), Die russische Frau im 17. Jahrhundert, Köln et al.
  • Anna L. Choroškevič (1998), Die Bojarenduma und der Zar in den fünfziger Jahren des 16. Jahrhunderts, in: Eckhard Hübner et al. (edd.), Zwischen Christianisierung und Europäisierung, Stuttgart, 129–137.
  • Robert O. Crummey (2014), Aristocrats and Servitors:The Boyar Elite in Russia, 1613–1689, Princeton.
  • Ders.(2014a), Formation ofMuscovy 13001613,Hoboken.
  • Andreas Kappeler (2001), Russland als Vielvölkerreich. Entstehung – Geschichte – Zerfall, München.
  • Valerie A. Kivelson, Ronald Grigor Suny (2017), Russia’s Empires, New York.
  • Dies. (1996), Autocracy in the Provinces. The Muscovite Gentry and Political Culture in the Seventeenth Century, Stanford.
  • Vasilij O. Ključevskij (1919), Bojarskaja duma v drevnej Rusi, 5 izd., St. Petersburg.
  • Nancy Shields Kollmann (2017), The Russian Empire 1450–1801, New York.
  • Jurij Krivošeev (1999), Rus‘ i mongoly: Issledovanie po istorii Severo-Vostočnoj Rusi XII–XIV vv., St. Petersburg.
  • Jan Kusber (2005), „Entdecker“ und „Entdeckte“: Zum Selbstverständnis von Zar und Elite im frühneuzeitlichen Moskauer Reich zwischen Europa und Asien, in: Renate Dürr et al. (edd.), Expansionen in der Frühen Neuzeit, Berlin, 97–115.
  • Galina Viktorovna Logunova (2014), Rus‘ i Zolotaja Orda: problema vzaimovlijanija, Irkutsk.
  • Diana Ordubadi (2019), Die Berufung zur Herrschaft 1598 und die Legitimation des Zaren Boris Godunov, in: Dittmar Dahlmann/Diana Ordubadi (edd.) (2019), Die autokratische Herrschaft im Moskauer Reich in der ‚Zeit der Wirren‘ 1598–1613, Göttingen, 179–197.
  • Hartmut Rüß (1994), Herren und Diener: die soziale und politische Mentalität des russischen Adels, 9.–17. Jahrhundert, Köln.
  • Wolfram v. Scheliha (2001), Die Patriarchatsperiode (1589–1721) – eine eigenständige Epoche der russischen Kirchengeschichte in der frühen Neuzeit?, in: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 58, 185–198.
  • Hans-JoachimTorke (1978), Oligarchie in der Autokratie. Der Machtverfall der Bojarenduma im 17. Jahrhundert, in: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 24, 179–201.
  • Aleksandr A. Zimin (1988), Formirovanie bojarskoj aristokratii v Rossii vo vtoroj polovine XV-pervoj treti XVI v., Moskva.

Publikationslisten

Veröffentlichungen

  • Martin Aust/Aleksej Miller/Ricarda Vulpius (2010) (edd.), Imperium inter pares. Rol’ transferov v istorii Rossijskoj imperii (1700–1917), Moskau (Imperium inter pares. Die Rolle von Transfers in der Geschiche des Russländischen Reiches).
  • Ders. (2006), Vermessen und Abbilden des russländischen Raumes nach der kulturellen Revolution Peters des Großen, in: Lars Behrisch (ed.), Vermessen, Zählen, Berechnen. Die politische Ordnung des Raumes im 18. Jahrhundert, Frankfurt/M 2006 (Historische Politikforschung 6), 27–44.
  • Ders. (2003), Adlige Landstreitigkeiten in Russland. Eine Studie zum Wandel der Nachbarschaftsverhältnisse 1676–1796, Phil. Diss. Wiesbaden (Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 60).
  • Ders. (2000), Die Landvermessung im Moskauer Reich zur Zeit der Regentschaft Sof’ja Alekseevnas (1682–1689), in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 48/1, 90–108.
  • Dittmar Dahlmann (2019a), „Not much was eaten, but they were rowdy drinkers“. Reports by Foreigners on Receptions and Audiences at the Tsar’s Court in the 16th and 17th Centuries, in: Eva Orthmann/Anna Kollatz (edd.), The Ceremonial of Audience. Transcultural Approaches (Macht und Herrschaft 2), Göttingen, 63–91.
  • Ders. (2007), Russia and Siberia from the End of the late 16th to the late 18th Centuries; Russland und Sibirien vom Ende des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: Brigitta Hauser-Schäublin (ed.), Siberia and Russian America: Culture and Art from the 1700s. The Asch Collection Göttingen; Sibirien und Russisch-Amerika: Kultur und Kunst des 18. Jahrhunderts. Die Sammlung von Asch Göttingen et al., 82–106.
  • Ders./Diana Ordubadi (2019), Die ‚Zeit der Wirren‘ und die Moskauer Selbstherrscher (1598–1613) aus russischer Perspektive und in zeitgenössischen ausländischen Berichten, in: Matthias Becher (ed.), Transkulturelle Annäherungen an Phänomene von Macht und Herrschaft. Spannungsfelder und Geschlechterdimensionen (Macht und Herrschaft 11), Göttingen, 273–297.
  • Ders./Diana Ordubadi (edd.) (2019), Die autokratische Herrschaft im Moskauer Reich in der ‚Zeit der Wirren‘ 1598–1613 (Studien zu Macht und Herrschaft 2), Göttingen; darin: Ders., „Waß nun weitter darauß wirt werden eröfnet die Zeit“. Deutschsprachige Zeitzeugenberichte in der ‚Zeit der Wirren‘ (1598–1613), 13–55.
  • Diana Ordubadi (2019), Die Berufung zur Herrschaft 1598 und die Legitimation des Zaren Boris Godunov, in: Dittmar Dahlmann/Diana Ordubadi (edd.) (2019), Die autokratische Herrschaft im Moskauer Reich in der ‚Zeit der Wirren‘ 1598–1613, Göttingen, 179–197.
  • Dittmar Dahlmann (2004), Die Frauen des russischen Hochadels im 16. und 17. Jahrhundert. Der lange Weg aus der Isolation, in: DAMALS 36, Nr. 2, 2228.

Tagungsteilnahmen

 

Veranstaltungen (Kolloquien, ...)

  • Workshop: „Smuta – ‚Zeit der Wirren‘ (1598–1613). Der Kampf um die Macht im Moskauer Reich am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit im Spiegel westlicher Russlandberichte“ mit Reinhard (17.11.16)

Spannungsfelder assoziierte TP's

01­ TP Albert, 02 ­ TP Becher/Dohmen, 05 ­ TP Brüggen, 08 ­ TP Dumitrescu, 10 ­ TP Kellermann/Zacke, 11 ­ Klaus, 13 ­ TP Klaus, 14 ­ TP Orthmann, 16 ­ TP Schwermann, 19 ­ Taranczewski/Schley, 21 ­ TP Wolter-von dem Knesebeck, 22 ­ Stieldorf

Aktuelle Forschung (Andere Projekte mit ähnlicher Forschung)

 

Linked Open Data (hilfreiche Webseiten/Links)

 

 

 

Projekt

Projektleitung

Prof. Dr. Dittmar Dahlmann

Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Institut für Geschichtswissenschaft
Abteilung für Osteuropäische Geschichte
Adenauerallee 4-6
53113 Bonn

+49-(0)228-737272

d.dahlmann[atuni-bonn.de]

 

Prof. Dr. Martin Aust

Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Institut für Geschichtswissenschaft
Abteilung für Osteuropäische Geschichte
Adenauerallee 4-6
53113 Bonn

+49-(0)228-739304

martin.aust[atuni-bonn.de]

 

 

 

 

Projektmitarbeit

Dr. Diana Ordubadi (Wissenschaftliche Mitarbeiterin)

Sonderforschungsbereich 1167 "Macht und Herrschaft"
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Poppelsdorfer Allee 24
53115 Bonn

+49-(0)228-7354468

dordubadi[atuni-bonn.de]